Tanvi Lonkar von Q1-Kurs interviewt

Zwan­zig Schü­ler und Schü­le­rin­nen aus Xan­ten saßen in einem Klas­sen­raum, ich war eine von ihnen. Wir müs­sen laut spre­chen“. Hof­fent­lich mag sie uns“. Haben wir genug Fra­gen vor­be­rei­tet?“. Span­nung lag in der Luft. Dann sahen wir plötz­lich die­ses hüb­sche, lächeln­de Gesicht und ahnten:

Tan­vi Lon­kar ist auf dem Boden geblie­ben. Sie wink­te, lach­te, war zwei­fel­los sehr schön ohne jeg­li­ches Make­up und trug ihren out-of-bed-look“ in einer so per­fek­ten und relax­ten Art und Wei­se, dass jedem sofort klar wur­de, wie­so sie die Rol­le der Lati­ka in dem erfolg­rei­chen Hol­ly­wood Film Slum­dog Mil­lionaire“ bekam. Tan­vi ist die­se Art von Mensch, mit dem man pro­blem­los und ohne jeg­li­che Distanz ein Gespräch füh­ren kann. Sie ist nicht abge­ho­ben und gibt nicht mit ihrer Erfah­rung in Hol­ly­wood an, obwohl sie Grund dazu hät­te. Slum­dog Mil­lionaire“ hat vier Gol­den Glo­bes und acht Oscars gewon­nen und wur­de offi­zi­ell als Der Wohl­fühl­film des Jahr­zehnts“ bezeich­net. Die 20-jäh­ri­ge Inde­rin war ein Teil die­ser wun­der­vol­len Pro­duk­ti­on und beant­wor­te­te unse­re Fra­gen gedul­dig, ehr­lich und sehr freund­lich. Beeindruckend!

Zuerst sprach sie über Unter­schie­de zwi­schen Hol­ly­wood und Bol­ly­wood. Tan­vi erklär­te, der Haupt­un­ter­schied sei, dass in Hol­ly­wood viel pro­fes­sio­nel­ler an einem Film gear­bei­tet wird und die Pro­duk­ti­on meist nur etwa drei oder vier Mona­te dau­ert, wäh­rend in Bol­ly­wood die Dreh­ar­bei­ten lang­sa­mer und ent­spann­ter ange­gan­gen werden.

Tan­vi erzähl­te dann, dass ihr Vater zugleich ihr Mana­ger war. Ich wuss­te gar nicht, für wel­che Rol­le ich vor­sprach, denn ich war erst zwölf Jah­re alt“, so Tan­vi. Ihr Vater such­te die Rol­le in Slum­dog Mil­lionaire“ aus und sie ver­stand nicht, dass ihr Film­cha­rak­ter Lati­ka eine Pro­sti­tu­ier­te ist. Als sie 15 Jah­re alt war, begriff Tan­vi das vol­le Aus­maß ihrer Rol­le und frag­te ihren Vater, wie er sie so etwas hat­te spie­len las­sen kön­nen. Mein Vater sag­te, dass es beim Schau­spie­lern dar­um geht, Rol­len zu spie­len“. Tan­vi ver­stand, dass es bei die­sem Beruf dazu­ge­hört, zwi­schen rea­lem Leben und Film­rol­le zu unterscheiden.

Wir baten sie, uns zu erzäh­len, wo es Unter­schie­de gibt, als jun­ge Frau in Indi­en oder in Ame­ri­ka zu leben. Ihre Ant­wort war ein­deu­tig: Ich müss­te sehr lan­ge nach­den­ken, um Gemein­sam­kei­ten zwi­schen die­sen bei­den Län­dern zu fin­den“. Tan­vi ver­brach­te ihre Jugend in Indi­en und stu­diert nun Psy­cho­lo­gie in Ame­ri­ka. Nach ihrer Rol­le in Slum­dog Mil­lionaire“ wech­sel­te sie auf eine bes­se­re Schu­le mit wohl­ha­ben­de­ren Schü­lern und nach ihrem Abschluss zog sie nach Ame­ri­ka. Es war ein gro­ßer Kul­tur­schock“. In Indi­en sei das Leben hek­ti­scher und es gäbe viel mehr Ver­kehr. Sie erin­ner­te sich an ihre Schul­zeit und beton­te, dass es ein tol­ler Lebens­ab­schnitt war und sie viel Spaß mit Freun­den und Fami­lie hat­te. Alles was ich heu­te weiß, all die Grund­la­gen, habe ich in Indi­en gelernt“. Dass die Schul­sys­te­me unter­schied­lich sind, muss­te Tan­vi selbst fest­stel­len. Wäh­rend in Indi­en Schü­ler nur für ihre Abschluss­prü­fun­gen ler­nen muss die jun­ge Frau in Ame­ri­ka damit rech­nen, kon­ti­nu­ier­lich wäh­rend des gan­zen Semes­ters geprüft zu wer­den. Eines Tages möch­te sie eine Ärz­tin sein. Viel Glück, lie­be Tanvi!

Dann bewies die talen­tier­te Schau­spie­le­rin uns in einer beein­dru­cken­den Art und Wei­se, wie offen und tole­rant sie denkt und han­delt. Eines Tages möch­te sie jedes Land der Welt berei­sen, zum Bei­spiel Schwe­den, Däne­mark und Japan“. Ganz beson­ders inter­es­siert ist sie an Deutsch­land. Nächs­tes Jahr wird sie Deutsch­un­ter­richt neh­men. Tan­vi, Du bist immer will­kom­men in unse­rer klei­nen Stadt und es wäre eine Ehre, dich zu tref­fen! Sie bezeich­net sich nicht als reli­giö­se Per­son (obgleich sie als Hin­du erzo­gen wur­de), respek­tiert jede Reli­gi­on und betet manch­mal zu ihren eige­nen Göt­tern. Wenn sie eines Tages Kin­der hat, wird sie ihnen indi­sche Ritua­le zei­gen, aber gleich­zei­tig Wert dar­auf­le­gen, dass sie auch ande­re Tra­di­tio­nen und die Kul­tur ihres Ehe­man­nes ken­nen­ler­nen. Ihren Kin­dern soll es so mög­lich sein, zu prak­ti­zie­ren was sie für rich­tig hal­ten. Was für eine bewun­derns­wer­te Art zu denken!

Als Nächs­tes frag­ten wir sie, ob sie schon ein­mal in einem Slum war. Ja“. Zum ers­ten Mal lächel­te Tan­vi nicht und wirk­te trau­rig. Das ist kein Leben, das irgend­je­mand leben möch­te. Wir hät­ten dort gebo­ren wer­den kön­nen und wir haben Glück, hier zu leben“. Für einen Moment war sie ernst und nach­denk­lich, doch dann erschien wie­der ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie erzähl­te uns von ihrem Wunsch für Indi­en: Wenn sie sehr reich wäre, wür­de sie all die obdach­lo­sen Kin­der von der Stra­ße holen und ihnen Schul­bil­dung ermög­li­chen. Ihr Gesichts­aus­druck mach­te deut­lich, wie sehr ihr Indi­ens Pro­ble­me am Her­zen liegen.

Hast du manch­mal Heim­weh?“. Nein, hat sie nicht. Zumin­dest sag­te sie das. Obwohl sie lach­te, erkann­ten wir, wie berüh­rend und hart die­ses The­ma für sie sein muss. Tau­sen­de von Kilo­me­tern ent­fernt von ihrem Zuhau­se. Nächs­te Fra­ge. Wir inter­es­sier­ten uns für ihre Zukunfts­plä­ne und ob sie sich vor­stel­len kön­ne, eines Tages zurück nach Indi­en zu gehen oder Schau­spie­le­rei zu ihrem Haupt­be­ruf zu machen. Sie erklär­te nach­drück­lich, dass es nicht ein­fach ist, Schau­spie­le­rin zu wer­den. Mil­lio­nen von Men­schen wären ger­ne in der Film­in­dus­trie und es ist schwer, hin­ein­zu­kom­men“. Sie ent­schied sich also, ihre Bil­dung an ers­te Stel­le zu set­zen und zu stu­die­ren, bevor sie ver­sucht, in neu­en Fil­men mitzuwirken.

Als sie uns schließ­lich erzähl­te, dass sie ger­ne ihre Eltern besucht aber sich nicht vor­stel­len kann, zurück nach Indi­en zu zie­hen, wuchs mei­ne Bewun­de­rung für die­se muti­ge, jun­ge Frau. Ich ver­glich mich mit ihr und mir wur­de klar, dass ich nicht so weit ent­fernt von mei­ner Fami­lie leben könn­te. Tan­vi beein­druck­te und erstaun­te mich zugleich. Obwohl ich mir sicher bin, nicht in der Lage zu sein, die­se Art von Leben weit weg von den Men­schen, die ich lie­be, zu füh­ren, bewun­de­re ich sie, weil sie ihr Schick­sal in die eige­ne Hand nimmt und Chan­cen ergreift, die ihr neue Türen eröff­nen wer­den. Das Inter­view mit der außer­ge­wöhn­li­chen jun­gen Frau Tan­vi Lon­kar zeig­te mir, wie anders das Leben in Indi­en sein muss und dass sie ein ech­tes Vor­bild ist. Nicht nur, weil sie in einem berühm­ten Hol­ly­wood Film mit­ge­spielt hat. Das ist ohne Fra­ge beein­dru­ckend. Doch sie ist auch ein Vor­bild, weil sie kei­ne Angst hat, ihren eige­nen Weg zu gehen und ihr Leben so zu leben, wie sie es möchte.

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